Krankenkasse will Angehörige gegen ihren Willen zur Pflege heranziehen
Immer häufiger lehnt eine Krankenkasse ärztlich verordnete Behandlungspflege durch einen Pflegedienst ab: dies mit der Begründung, dass der pflegende Angehörige diese einfache Behandlungspflege, wie z. B. Medikamenten- oder Insulingabe, vornehmen könne.
Doch auch wenn Sie Ihren Angehörigen aufopfernd pflegen und betreuen, dürfen Sie Grenzen setzen. Sie können die Verantwortung der Medikamentengabe, des Richtens oder die Gabe einer Injektion ablehnen. Und genau in diesem Fall kann der Arzt Häusliche Krankenpflege (HKP) verordnen. Diese häusliche Krankenpflege kann durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht werden, wenn sie medizinisch notwendig ist und keine im Haushalt lebende Person den Kranken im erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (§ 37 Absatz 2 und 3 SGB V). Die Kosten für die HKP werden nur dann nicht übernommen, wenn ein Angehöriger im selben Haushalt lebt und die verordneten Leistungen erbringen kann.
Die Krankenkassen überprüfen vor Ort
Nicht selten forschen Mitarbeiter der Kassen durch Anrufe oder auch Besuche bei ihren Versicherten nach, ob ein Angehöriger statt des Pflegedienstes die verordnete Leistung durchführen kann. Erst danach genehmigen sie eine Verordnung über häusliche Krankenpflege – oder auch nicht.
Lassen Sie sich durch solche Anrufe oder Besuche nicht unter Druck setzen! Es braucht Ihnen keineswegs peinlich zu sein, wenn Sie nicht (mehr) in der Lage sind, auch einfache Behandlungspflegemaßnahmen selbst auszuführen. Denn erst, wenn Sie sich bereiterklären, die Leistungen selbst zu übernehmen, lehnt die Krankenkasse die Leistung durch den Pflegedienst ab.
Urteil zugunsten des Versicherten
In einer Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Dortmund (Urteil vom 23.01.2008, Az.: S 40 KR 259/05) wurde bestätigt, dass Sie als Angehöriger zur Pflege nicht grundsätzlich verpflichtet sind. In dem verhandelten Fall hatte sich ein psychisch kranker Versicherter geweigert, Medikamente von seiner Ehefrau entgegenzunehmen. Aufgrund einer Wahnerkrankung glaubte er, von seiner Ehefrau vergiftet zu werden. Er akzeptierte aber vorbehaltlos die Medikamentengabe durch den Pflegedienst. Obwohl auch der behandelnde Facharzt die Notwendigkeit einer Medikamentengabe durch den Pflegedienst immer wieder bescheinigte, lehnte die Krankenkasse die Übernahme der Kosten ab. Die Pflegekraft der Kasse hatte bei einem Besuch bei dem Versicherten den Eindruck gewonnen, dass die Ehefrau die Medikamentengabe vornehmen könne. Das Gericht sah dies anders und verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung.
Aktive und passive Pflegebereitschaft
Es ist also ganz eindeutig: Sind Sie nicht in der Lage, die Behandlungspflege selbst zu erbringen, sind Sie auch nicht dazu verpflichtet. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einer Entscheidung bestätigt (Urteil vom 30.03.2000, Az.: B 3 KR 23/99 R), dass die Kasse die Kostenübernahme nur ablehnen darf, wenn
- sowohl der zu Pflegende bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen (passive Pflegebereitschaft),
- als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist (aktive Pflegebereitschaft). Die aktive wie auch die passive Pflegebereitschaft der Pflegeperson und des zu Pflegenden sind nach Auffassung der Richter unverzichtbar.
Allerdings, so die Richter, muss der Angehörige nachvollziehbare Gründe für die Ablehnung der Pflege nennen. Gründe für eine Ablehnung der Pflege können z. B. sein:
- Ekel,
- Schamgefühl,
- Überforderung.
Dies traf allerdings in diesem Fall nicht zu. Das Gericht folgte deshalb der Aussage des Arztes. Denn aus Sicht des Gerichtes hat nur ein Arzt die Fachkompetenz einzuschätzen, ob die verordneten Leistungen durch einen Angehörigen erbracht werden können oder nicht.
Wenn auch die Krankenkasse Ihres Angehörigen denkt, Sie gegen Ihren Willen zu behandlungspflegerischen Leistungen heranziehen zu können, sollten Sie sich wehren. Ein Widerspruch gegen die Ablehnung der Häuslichen Krankenpflege hat sehr gute Aussichten auf Erfolg. So oder ähnlich kann solch ein Widerspruch aussehen:
Muster: Widerspruch gegen die Ablehnung der Behandlungspflege durch einen Pflegedienst
Krankenkasse „Bleib gesund!“
Absender Datum Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.12.2009, Ablehnung der häuslichen Krankenpflege Sehr geehrte Damen und Herren,
Sollten Sie den o. g. Bescheid nicht aufheben und die Behandlungspflege durch einen Pflegedienst weiterhin ablehnen, werde ich den Anspruch meines … nach § 37 Abs. 2 SGB V gerichtlich durchsetzen. Mit freundlichen Grüßen, Name
Quelle: PPM-Pflegemanagement |